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Software-Entwickler und Verantwortliche für Software-Projekte kennen vermutlich die zahlreichen Modelle für die Bewertung der digitalen Qualität. In der Theorie versprechen diese Ansätze praxisnahe Lösungen für die Messung und Bewertung der Qualität von Software. Bekannte Beispiele sind die ISO Standards 9126 und 25010 oder ältere Konzepte wie die Modelle von McCall, et al. und Boehm, et al. aus den 1970er Jahren. In der Praxis können sie ihren versprochenen Nutzen jedoch oftmals nicht halten. Versucht man die Qualität eines Software-Produkts mit den genannten Modellen zu untersuchen, stellt man schnell fest, dass eine ganzheitliche Bewertung der Qualität mit diesen Modellen nicht möglich ist. Die Verknüpfung von Messkonzepten (wenn diese überhaupt vorhanden sind) mit Qualitätszielen, sowie der hohe Abstraktionsgrad der verwendeten Begriffe (wenn diese überhaupt definiert sind) sind nur zwei Beispiele der vielen Probleme der Qualitätsmodelle.
Meine Masterarbeit beschäftigt sich mit etablierten Software-Qualitätsmodellen, kritisiert diese und stellt ein eigenes Framework vor. Dabei werden außerdem besondere Software-Typen wie mobile Applikationen und Websites explizit hervorgehoben und weniger etablierte Konzepte wie die Qualitätsbewertung der User Experience in die Untersuchung miteinbezogen. Die Produktqualität steht dabei im Fokus, während die Prozessqualität eine untergeordnete Rolle spielt. Messansätze werden sowohl im Zuge der Modellanalysen als auch isoliert betrachtet.
Analyse der Modelle
Zu Beginn werden die in der Forschung vorhandenen Modelle analysiert. Dabei werden sowohl die historischen, hierarchischen Modelle (McCall, et al., Boehm, et al., FURPS und die bereits genannten ISO Normen), als auch modernere Ansätze, denen ein explizites Metamodell zugrunde liegt (Squale, QUAMOCO, Dromey und QMOOD) dargestellt. Ein aktueller Vertreter der hierarchischen Modelle ist die ISO Norm 25010 (siehe Abbildung 1). Diese weist eine klassische hierarchische Modellstruktur auf.
Die Software-Qualität teilt sich in zwei Perspektiven: die Produktqualität und die Nutzungsqualität. Diese gliedern sich daraufhin in verschiedene Qualitätseigenschaften und -Subeigenschaften. Ein Beispiel dafür ist die Eigenschaft Reliability, die unter anderem aus den Subeigenschaften Maturity und Fault tolerance besteht. Diese Eigenschaften werden in der Theorie mit Messgrößen verknüpft, um sie so quantifizierbar und messbar zu machen. Allerdings scheitern die Modelle im praktischen Gebrauch, da die Metriken abstrakt und teilweise ohne Bezug auf Software-Entitäten beschrieben sind. Außerdem wird die Aggregation einzelner Messergebnisse zu einer Gesamtbewertung nicht ausführlich geschildert.
Wann ein Software-Produkt gut ist, kann durch den ISO-Standard also nicht beantwortet werden. Ein Vorteil der Norm ist jedoch ihr Bekanntheitsgrad. Nachdem die Norm auf dem wohl bekanntesten Modell aus dem ISO-Standard 9126 basiert, sind ihre Eigenschaften und deren Definitionen in der Forschung und Praxis etabliert.
Um den Nachteilen der hierarchischen Ansätze entgegenzuwirken, wurden alternative Konzepte entwickelt. Ziel ist die ganzheitliche Operationalisierung der Software-Qualität. Beispielsweise verknüpft das QUAMOCO-Modell (siehe Abbildung 2) die Qualitätseigenschaften und Subeigenschaften mit so genannten Produktfaktoren – Attributen von konkreten Teilen des Software-Produkts – und beschreibt diese. Somit sind sie deutlich greifbarer als die abstrakten Qualitätseigenschaften und beziehen sich immer auf ein bestimmtes Element der Software. Wenn diese dann durch Messgrößen quantifiziert werden, können objektive Aussagen über die Qualität bestimmter Eigenschaften der Software getroffen werden. Die Forscher und Entwickler des Modells schlagen auch ein Konzept zur Gesamtevaluation der Qualität vor. Dem Framework liegt ein explizites Metamodell zugrunde, das die Verknüpfung der Modellelemente ausführlich beschreibt. Mit dem Modell kann man also theoretisch beurteilen, ob ein Software-Produkt gut ist oder nicht.
Sowohl die hierarchischen als auch die modernen Ansätze vernachlässigen aber die User Experience (UX) und beinhalten meist lediglich die Usability als eine Teileigenschaft der digitalen Qualität. Dies wird den Ansprüchen der Software-Nutzer und dem komplexen Thema UX aber nicht gerecht.
Spezialfall UX
Warum ist die UX wichtig? Ein Erlebnis (z.B. ein Konzertbesuch) wird in der Regel besser bewertet als ein neu gekauftes Produkt (z.B. T-Shirt). Auch im digitalen Bereich fand in den letzten Jahren bezüglich des Themas ein Umdenken statt. Das Nutzungserlebnis, die Emotionen und die Wahrnehmungen stehen bei der Betrachtung der UX im Mittelpunkt. Es handelt sich um ein temporäres, dynamisches und subjektives Phänomen, das von verschiedenen Faktoren wie dem Kontext oder dem Benutzer beeinflusst wird. Die UX kann nicht mit Stoppuhren oder durch die Protokollierung von Fehlern gemessen werden. Objektive Messgrößen und Untersuchungen im Labor reichen nicht aus. Es gibt eine Reihe an Konzepten aus der UX Forschung, die das Ziel haben, die Teilaspekte der UX messbar zu machen. Diese werden teilweise in das neue Framework miteinbezogen.
Ableitungen für ein eigenes Framework
Aus der Analyse können einige Anforderungen an ein neues Modell abgeleitet werden, die ich in drei Bereiche aufgeteilt habe: Die Qualitätseigenschaften bzw. die Struktur des Modells, Messansätze und die UX. Sie wurden aus dem Analyseteil der Masterarbeit und der Interpretation der Ergebnisse gewonnen und sind nachfolgend dargestellt:
Qualitätseigenschaften/Struktur
- Etablierte Basis-Qualitätseigenschaften
- Flexibilität durch individuell anpassbare Qualitätseigenschaften für unterschiedliche Software-Produkte, beispielsweise durch modularisierten Aufbau des Modells
- Klare Definition der Modellelemente und deren Verbindung, um Ungenauigkeiten zu vermeiden
Messansätze
- Messgrößen müssen eindeutig mit den Software-Elementen und den Qualitätszielen verbunden sein
- Eine gesamtevaluation durch Aggregation der Messgrößen muss möglich sein
UX
- Integration der UX als weitere gleichgestellte Qualitätseigenschaft in ein Software-Qualitätsmodell
- Es müssen Messansätze für die UX geschaffen werden, die auch möglichst unabhängig vom jeweiligen Software-Projekt angewendet werden können
Vorstellung des theoretischen Modells
Das neu entwickelte Framework (siehe Abbildungen 3 und 4) beruht auf dem Metamodell des QUAMOCO-Ansatzes und beinhaltet dessen Modellelemente. Die standardisierten, bekannten Qualitätseigenschaften des ISO-Standards 25010 stellen die Basiseigenschaften des Modells dar. Ein bedeutender Vorteil gegenüber der ISO-Norm ist jedoch, dass die Eigenschaften und sonstigen Modellelemente nicht starr und inflexibel sind, sondern je nach Software-Projekt angepasst werden können. Durch einen modularisierten Aufbau bietet das Modell die Flexibilität, die für die Beurteilung verschiedenartiger Software-Produkte notwendig ist.
Der zugehörige Messansatz ist ebenfalls ausführlich beschrieben und bietet die Möglichkeit, ein Software-Produkt als Gesamtes zu beurteilen. Auch die UX ist in das Basismodul integriert und beinhaltet validierte Messmethoden aus der UX-Forschung. Die Eigenschaften sind an ein Konzept von Hassenzahl, et al. angelehnt und können wiederum je nach Software-Projekt angepasst werden. Insgesamt stellt das Framework ein theoretisches Modell dar, mit dem die digitale Qualität ganzheitlich operationalisiert werden kann.
Fazit und Ausblick
Meine Masterarbeit erfasst die wesentlichen Probleme der Operationalisierung der digitalen Qualität durch etablierte Software-Qualitätsmodelle und leitet daraus Anforderungen für neue Ansätze ab. Folglich habe ich ein theoretisches Framework entwickelt, das die Qualität der digitalen Güter in Zukunft quantifizieren und somit messbar machen soll.
Das Modell ist momentan jedoch nur theoretisch konzipiert. Eine Validierung des Modells und eine praktische Anwendung kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erfolgen, da erst auf technischer Ebene Messgrößen, Qualitätseigenschaften und andere Modellelemente entwickelt werden müssen. Die Ergebnisse der Masterarbeit stellen aber bereits jetzt praktische Einsatzmöglichkeiten zur Diskussion und werfen neue Forschungsfragen auf. Gute Bewertungsergebnisse können beispielsweise ein Verkaufsargument für die Software darstellen und somit auch für das Marketing und das Recruiting interessant sein.
One thought on “Digitale Qualität messen: Ein neues Framework”