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3 Stufen der Product Discovery skizziert
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Product Discovery für einen Smart Building Showcase: 3 Key Takeaways

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13 ​​min

Der Aufbau unseres technologischen Showcases im Bereich IoT & Smart Buildings begeistert seit Juni viele Kolleg:innen. Ziel dieses cross-funktionalen Projektes ist es, neue Technologien im Bereich IoT auszuprobieren, indem man diese Use-Case-bezogen anwendet und somit realistischen Entwicklungsbedingungen aussetzt. Der Showcase ist jedoch nicht nur technologisch interessant, sondern auch aus Sicht der Product Discovery spannend, da die Entwicklung der jeweiligen Use Cases vergleichbar mit einem Produktentwicklungsprozess ist. Wie bei jedem Produkt besteht bei den verschiedenen Anwendungsfällen eine Vielzahl an Unsicherheiten (z.B. technologische Umsetzbarkeit, Nutzerakzeptanz) sowie die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen (z.B. Design A vs. Design B, Feature A vs. Feature B).

Die Use Cases

Der erste Use Case, der sich aktuell in der Entwicklung befindet, befasst sich mit der Buchung von Meetingräumen. Ziel ist es automatisch zu erkennen, wann ein gebuchter Raum blockiert ist und wann dieser frei ist. Häufig blockieren Serientermine oder veraltete Einträge Meetingräume und verursachen dadurch eine künstliche Raumknappheit – zur Frustration der Kolleg:innen, die für ihre Termine dadurch keinen Raum mehr zur Verfügung haben, obwohl einer frei wäre.

Ein erstes Mockup der smarten Meetingräume zeigt Schaubild 1. Dieses wurde vorab als Orientierungspunkt für die Entwicklung zur Verfügung gestellt. Allerdings ist noch nicht validiert, ob es eine Zielgruppe für den Anwendungsfall gibt, ob die vorgeschlagene Lösungsidee das Problem tatsächlich löst und ob das Tool intuitiv nutzbar ist. Diese und weitere Punkte werden an anderer Stelle eingehender beleuchtet.

Mockup der Raumbuchung mit besetzten Räumen

Mockup der smarten Raumbesetzung, 7 Personen um einen Tisch
Schaubild 1

Neben dem Anwendungsfall „smarte Meetingräume“ stehen viele weitere Projektideen im Raum – von der „smarten Snackbar“ über Security Anwendungen bis hin zur Parkplatz-Analyse für Meetups.

Die frühen Phasen des Innovationsprozesses

Nachdem die Liste für mögliche, technologisch durchaus sehr spannende Anwendungsfälle immer länger wurde und auch die Feature-Ideen innerhalb des ersten Use Cases „smarte Meetingräume“ das Backlog immer voller werden ließen, stellte sich die grundsätzliche Frage: Womit beginnen wir und wie geht es danach weiter? Ebenso ergaben sich viele Fragen im Bezug auf die smarten Meetingräume: Wer ist die Zielgruppe? In welchen Situationen tritt der vermutete Pain Point auf? Welche Informationen sind für die Nutzer relevant? Obwohl der Anwendungsfall als technologischer Showcase entstanden ist, erinnerten diese und weitere Fragen an die frühe Phase der herkömmlichen Produktentwicklung bzw. an das sogenannte Fuzzy Frontend of Innovation. In dieser Phase ist eine Idee zumeist noch nicht final definiert, Veränderungen sind einfach zu implementieren, die Entwicklung ist eher chaotisch und der Mehrwert, die Idee zu realisieren, ist noch unklar. In den frühen Phasen von Innovation ist es unabdingbar, das Risiko einer Produktidee zu minimieren, bevor die Implementierungsphase beginnt. Hierfür gibt es verschiedene strukturierende Methoden, die Stück für Stück die zugrundeliegenden Hypothesen einer Idee empirisch validieren.

Die Produktvision

Häufig beginnt die Produktentwicklung mit der Erarbeitung einer konkreten Produktvision, die einerseits als ein Leuchtturm und Motivator für das Team fungiert und andererseits am Markt differenzierend wirkt und die Kundenbindung erhöht. Obwohl es sich in unserem Fall um einen technologischen Showcase und kein Produkt im klassischen Sinne handelt, hielten wir es dennoch für sinnvoll, eine übergreifende Vision über alle Projektideen hinweg (von den Meetingräumen bis zur Snackbar) zu erarbeiten. Das Ziel war nicht nur, einen gemeinsamen Orientierungspunkt für das Team zu schaffen, sondern auch eine erste Struktur in die Liste der vielen Anwendungsfälle zu bringen.

Der Golden Circle

Das Herzstück des darauffolgenden Visions-Workshops bildete eine für uns altbewährte Methode: „The Golden Circle“ (siehe Schaubild 2) nach Simon Sinek.

Golden Circle: Why, how, what
Schaubild 2: https://medium.com/humble-ventures/always-start-with-why-b931d528e528?

In seinem Buch „Start With Why“ erläutert der Autor, warum Unternehmen, die ihre Mitarbeiter:innen und Kund:innen mit dem übergeordneten Bestreben („Warum“) überzeugen, jenen Konkurrenten überlegen sind, welche sich auf die Kommunikation der Fakten ihres Angebotsportfolios („Was“) konzentrieren. Sineks Argumentation basiert primär auf der menschlichen Biologie. Unser Gehirn lässt sich grob in das Limbische System und den Neocortex aufteilen, die mit den 3 Teilen des Golden Circles korrespondieren. Der Neocortex korrespondiert dabei mit der Sachebene („Was“), während sich das Limbische System den beiden inneren Kreisen („Wie“ und „Warum“) zuordnen lässt. Letzteres ist der emotionale Teil, in dem Gefühle wie Vertrauen oder Loyalität entstehen und der Part, der die menschliche Entscheidungsfindung kontrolliert. Ersteres ist für unsere analytischen und rationalen Gedanken sowie unsere Sprache verantwortlich. Kommuniziert ein Unternehmen sein „Warum“ an erster Stelle, so spricht es direkt den emotionalen Teil des Gehirns an, der auch die Entscheidungsfindung kontrolliert. Nachgelagerte Fakten über das Angebot („Was“) erlauben uns im Anschluss die emotional getriebene Entscheidung auch rational zu rechtfertigen (Inside-out-Kommunikation). Das Ergebnis ist eine standfeste Entscheidung, von der wir wissen, dass diese richtig ist. Im Gegensatz dazu stehen Entscheidungen, die nur durch eine rationale Abwägung der Fakten entstehen. Diese kommen zustande, wenn Unternehmen sich primär auf die Kommunikation des „Was“ konzentrieren (Outside-in-Kommunikation), das „Warum“ aber gleichzeitig undefiniert lassen. Während wir zwar rational verstehen, welche Vor- und Nachteile ein bestimmtes Angebot hat, entwickeln wir keine emotionale Bindung zu dem dazugehörigen Unternehmen. Wir kaufen ein Produkt, weil wir glauben, dass es die meisten Vorteile für uns hat, basierend auf den Informationen, die uns zur Verfügung stehen. In diesem Fall sind wir auch stärker gewillt, unser Kaufverhalten zu verändern, wenn ein Konkurrenzprodukt faktisch mehr Vorteile aufweist. Emotionale Entscheidungen hingegen gehen oft mit einer großen Loyalität zu einem Unternehmen einher, weil wir uns mit dessen Vision persönlich identifizieren. Das Produkt repräsentiert dabei unsere eigenen Werte und Überzeugungen.

Das Ergebnis

Unser Visions-Workshop wurde als internes Event geplant und fand breiten Anklang. Anwesend waren der Product Owner, das Entwicklungsteam und weitere interessierte Kolleg:innen.

Die wichtigste Frage, die die Diskussion eröffnete, war das Warum. Warum bauen wir einen technologischen Showcase im Bereich IoT/smarte Meetingräume, abgesehen davon, dass die Umsetzung uns viel Freude bereitet? Gibt es einen übergeordneten Zweck, eine Vision, mit der wir uns identifizieren können, die uns inspiriert?

Im Verlauf des Meetings füllten sich die einzelnen Ringe des Golden Circles. Zum Schluss ergab sich folgendes Bild: „Wir möchten unseren Nutzern ermöglichen, sich in ihrem Alltag auf das Wesentliche konzentrieren zu können und dadurch Zeit, Energie und Ressourcen zu sparen (Warum). Um unser Zielbild zu erreichen, setzen wir konsequent auf einen smarten Umgang mit den uns verfügbaren Ressourcen, auf die Implementierung technologisch überlegener Lösungen sowie auf ein nutzerzentriertes Design (Wie). Als Erstes machen wir die Meetingräume smart, gefolgt von mehr Anwendungen, die unsere Nutzer glücklich machen (Was).“

Aus rein methodischer Sicht könnte man mit diesem Ergebnis zufrieden sein – es gibt einen definierten höheren Zweck, der einerseits eine bestimmte Nutzergruppe anspricht und andererseits als Leuchtturm und Inspirationsquelle für das Team fungieren kann.

Praktisch gesehen war diese Übung jedoch für die Zielgruppe nicht adäquat. In bisherigen Workshops, in denen der Golden Circle zum Einsatz kam, war die Business- und Kundenperspektive stets dominant vertreten. Während dabei immer das Produkt im Vordergrund stand, wurde dieser Showcase stark aus technologischem Interesse getrieben. In unserem Workshop mussten wir daher erst den Fokus von der rein technologischen Umsetzung weglenken und stärker auf das Produkt ausrichten. Ein großes Problem an diesem Perspektivwechsel war, dass die Mitarbeiter:innen bereits intrinsisch motiviert waren, die Meetingräume smart zu machen. Die Arbeit mit neuen, hippen Technologien machte den Anwendungsfall schon verlockend genug. Der Wechsel hin zur Kundenperspektive („Welche Mehrwerte wollen wir denn eigentlich für unsere Nutzer stiften?“) wurde daher von der Mehrheit der Teilnehmer als nicht hilfreich empfunden. An dieser Stelle stellte sich uns die Frage, wie Nutzer- und Technologie-Fokus eigentlich zueinander stehen: konkurrierend oder komplementär.

Wenn man sich die zahlreichen Methoden der Product Discovery vor Augen führt, so kann man erkennen, dass primär der Nutzer im Mittelpunkt aller Bemühungen steht. Die technologische Umsetzung ist dabei häufig nur eine mehrerer Facetten. Folgen wir Marty Cagan, so gruppieren sich die diversen Methoden grundsätzlich um die 4 Risiken eines Produkts: 1. Value (Nutzer-Sicht), 2. Usability (Nutzer-Sicht), 3. Business Viability (Business-Sicht) und 4. Feasibility (Tech-Sicht) (https://svpg.com/four-big-risks/). Um ein Produkt zum Erfolg zu führen, müssen alle vier Perspektiven berücksichtigt und validiert werden. Dabei ist es legitim, wenn sich innerhalb des Teams Interessenschwerpunkte bilden. In unserem Fall ist das Entwicklungsteam vorwiegend an der Feasibility interessiert. Allerdings dürfen die zwei weiteren Dimensionen nicht vernachlässigt werden. Die Nutzer-Sicht ist auch für einen Showcase hilfreich, da es durchaus möglich ist, etwas zu erschaffen, das sowohl technologisch interessant als auch für eine bestimmte Zielgruppe von Nutzen ist. Abgesehen davon, dass es den Showcase realen Bedingungen und Anforderungen aussetzen würde (z.B. auf Nutzer-Feedback reagieren), könnte der grundsätzliche Mehrwert des Projekts erhöht werden. Die Schnittmenge zwischen Technologie- und User-Nutzen muss allerdings noch identifiziert werden. Die Business-Sicht spielt in unserem Fall tatsächlich eine untergeordnete Rolle, da der Showcase nicht zum Ziel hat, einen nachhaltigen Revenue-Stream zu generieren. Allerdings könnte man argumentieren, dass der Showcase für eine bestimmte Zielgruppe interessanter – und ihre Bereitschaft, sich diesen anzuschauen höher – wird, je relevanter die realisierten Anwendungsfälle sind. Dies könnte wiederum zu einem erhöhten Engagement mit uns als Unternehmen führen. Insgesamt sollten sich, aus meiner Sicht, Nutzer-, Business- und Technologiesicht stets komplementär verhalten.

Zwar kann, je nach Anwendungsfall, die Gewichtung zwischen den Perspektiven verändert werden, jedoch sollte die Entscheidung, sich ausschließlich auf eine Sichtweise zu konzentrieren, fundiert sein und bewusst getroffen werden. Wie bereits erläutert, lassen sich in unserem Anwendungsfall durchaus gute Gründe finden, den Showcase ganzheitlich zu betrachten.

Wie kann man das Ergebnis aus Sicht des Golden Circles beurteilen? Grundsätzlich bietet das gemeinsam erarbeitete Warum dem Team nach wie vor eine Reihe an Möglichkeiten, technologisch interessante Produktideen zu verfolgen. Jedoch, wie auch Simon Sinek immer wieder betont, sollte sich das gesamte Unternehmen (oder in unserem Fall: das Team) mit dem Warum identifizieren. Arbeitet man mit Teams zusammen who believe what you believe, dann entsteht eine emotionale Bindung zum gemeinsamen Vorhaben. Andernfalls bleibt die Entscheidungsfindung rational sowie der persönliche Antrieb des Mitwirkens sehr individuell. Sollte dann beispielsweise ein Produkt verfolgt werden, das zwar auf die Vision einzahlt, einen User-Benefit hat und umsetzbar – jedoch technologisch nicht herausfordernd, so könnte das Team in ein Motivationsungleichgewicht fallen. Eine verringerte Motivation könnte sich unmittelbar auf die Stimmung innerhalb des Teams und im Endeffekt auf das Ergebnis auswirken.

Next Steps

Aktuell befindet sich der Showcase in der technologischen Weiterentwicklung. Aus Product-Discovery-Sicht wäre es sinnvoll, sich das aktuelle Projekt (Smarte Meetingräume) aus Nutzer-Sicht genauer anzuschauen. Beispielsweise könnte der genaue Bedarf an einem solchen Tool durch qualitative Interviews festgestellt (Identifikation der User Pain Points) oder auch ein Usability-Test für das bestehende Design durchgeführt werden. Um das Backlog zu strukturieren wäre es zudem sinnvoll, die Feature-Ideen auf ihre Relevanz zu überprüfen und zu priorisieren, beispielsweise durch User Interviews oder anhand einer User Story Map.

Key Takeaways

  1. Eine Vision muss konsistent sein – das Warum dient als Leuchtturm nach innen und außen. Das Was ist nur eine greifbare Manifestation des Warums. Sind die einzelnen Bestandteile des Golden Circles inkonsistent, so ist es für einen Kunden nicht möglich, eine emotional getriebene Entscheidung auch mit rationalen Fakten zu begründen. Die emotionale Entscheidung bleibt in diesem Fall nichts weiter als ein Bauchgefühl. Zudem verliert die Vision auch ihre Glaubwürdigkeit für das Team. Nur eine Vision, die auch gelebt wird, kann als Motivator dienen.
  2. Verschiedene Motivationen müssen berücksichtigt werden – es ist essenziell, dass das gesamte Team sich mit einer gemeinsamen Vision identifiziert. Ist dies nicht der Fall, können Inkonsistenzen und in Folge dessen Uneinigkeit entstehen, welche und auf welche Weise Produkte umgesetzt werden sollten.
  3. Die verschiedenen Facetten eines Produkts müssen umfassend beleuchtet oder – in Ausnahmefällen – bewusst zurückgestellt werden. Die Methoden zur Minimierung der vier verschiedenen Produktrisiken unterziehen das Produkt auf unterschiedliche Art und Weise einem Realitätscheck. Ziel sollte sein, ein Produkt zu entwickeln, das sowohl von einer Nutzergruppe nachgefragt wird als auch einen Business-Value generiert und technologisch umsetzbar ist. Nur so kann der größtmögliche Mehrwert für alle Beteiligten – Unternehmen, Mitarbeiter:innen und Kunden – hergestellt werden.

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