In unserer heutigen Arbeitswelt ist Teamarbeit ein unverzichtbarer Bestandteil. Dazu gehört auch das Treffen von Entscheidungen im Team. Wenn mehrere Personen mit unterschiedlichen Perspektiven, Fähigkeiten und Erfahrungen zusammenarbeiten, kann eine Fülle von innovativen Ideen und Lösungen entstehen. Doch bei dieser Vielzahl von Vorschlägen kann es schwierig sein, den Überblick zu behalten und die relevanten Ideen herauszufiltern. In solchen Situationen greifen viele Teams auf schnelle und einfache Methoden wie Like-Votings oder Dot-Votings zurück, um schnell eine Einigung zu erzielen.
Aber was ist, wenn diese Methoden nicht ausreichen, wenn es um komplexe Entscheidungen geht, die weitreichende Auswirkungen auf das Unternehmen haben können? In solchen Fällen ist es wichtig, dass Teams über unterschiedliche Methoden verfügen, um kluge Entscheidungen zu treffen. Das ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn es um Entscheidungen geht, die einen Einfluss auf das gesamte Team oder das gesamte Unternehmen haben.
Dieser Artikel gibt einen Überblick darüber, welche Faktoren Einfluss auf Entscheidungen haben und welche praktischen Tools uns hier helfen. Wir zeigen verschiedene Entscheidungswege auf, die ihr je nach Kontext und Zielsetzung anwenden könnt. Indem Teams ihre Entscheidungsprozesse bewusst steuern, können sie vermeiden, überstürzte oder übermäßig lange Diskussionen zu führen.
Konsens, Konsent, Delegation und Mehrheitsentscheidungen
In unserer Betrachtung haben wir uns auf vier Ansätze zur Entscheidungsfindung fokussiert: Konsens, Konsent, Mehrheitsentscheidungen und Delegation. Es gibt jedoch auch noch weitere Methoden, die nicht berücksichtigt wurden, z. B. das systemische Konsensieren, das wir unter dem Konsent-Ansatz eingeordnet hätten.
Konsens
Beim Konsens diskutiert ihr, bis alle Mitglieder der Gruppe mit der Entscheidung einverstanden sind. Dies hat den Vorteil, dass alle Teammitglieder sich einbezogen fühlen und hinter der Entscheidung stehen. Allerdings kann es relativ lange dauern, bis alle zufrieden sind. Zudem besteht die Gefahr von Kompromisslösungen, die nicht unbedingt die beste Option darstellen.
Konsent
Beim Konsent hingegen gilt eine Entscheidung als getroffen, solange niemand einen schwerwiegenden Einspruch hat. Diese Methode benötigt weniger Zeit und erfordert vom Team gute Argumente und Vorschläge, um ein Veto einzulegen. Der Nachteil ist, dass es schwierig sein kann, sich gegen die Gruppe zu stellen und dass die Entscheidung nicht unbedingt die beste Option sein muss. Hier gilt der Spruch „Good enough for now, save enough to try“.
Delegation
Die Delegation ist eine Methode, bei der die Entscheidungsbefugnis an eine andere Person oder Subgruppe übertragen wird. Es kann auch ein:e Expert:in oder Berater:in hinzugezogen werden, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Dies kann schnell gehen und Wertschätzung gegenüber der Delegationsempfänger:in im Team zeigen. Allerdings ist nicht jede:r in die Entscheidung einbezogen. Es besteht die Gefahr, dass die Entscheidung nicht auf die spezifischen Bedürfnisse des Teams abgestimmt ist und damit vom Team nicht nachhaltig akzeptiert wird.
Mehrheitsentscheidung
Bei Mehrheitsentscheidungen gewinnt der Standpunkt, der von der Mehrheit der beteiligten Personen unterstützt wird. Dabei zählt jede Stimme gleich. Ein Vorteil von Mehrheitsentscheidungen ist, dass schnelle Entscheidungen getroffen werden können. Ein Nachteil besteht jedoch darin, dass Alternativen und weniger beachtete Argumente nicht in die Lösung mit einfließen. Minderheiten können sich wegen ihrer Anzahl – nicht wegen ihrer Argumente – nicht durchsetzen und können sich als Verlierer fühlen, was wiederum die Unterstützung der gewählten Lösung beeinträchtigen kann.
Entscheidungsfaktoren: Tempo und Tragweite
Wann nutzt man nun welche Methode? Hilfe zur Einordnung bieten zwei wichtige Faktoren.
Geschwindigkeit: Es gibt Situationen, in denen äußere Faktoren wie Zeitdruck oder eine sich schnell verändernde Marktumgebung schnelle Entscheidungen erfordern. In anderen Fällen haben wir selbst die Möglichkeit zu entscheiden, wie viel Zeit wir uns nehmen möchten. Hierbei solltet ihr bedenken, dass, wenn ihr zu wenig Zeit für die Entscheidungsfindung verwendet, manchmal wichtige Punkte übersehen werden. Dies führt dazu, dass die getroffene Entscheidung schnell angezweifelt oder erneut diskutiert werden muss, was im Team zu Frustration führen kann.
Tragweite der Entscheidung: Hierzu gehören Risiko, Reversibilität, Größe der Entscheidung, Auswirkungen der Entscheidung auf die Teilnehmenden sowie das Unternehmen und die eingesetzten Ressourcen wie Zeit und Geld.
Die beiden Faktoren beeinflussen sich gegenseitig. Auch wenn wir bei Entscheidungen mit hoher Tragweite nicht überstürzt handeln möchten, um sicherzustellen, dass alle relevanten Faktoren berücksichtigt werden, nehmen Konsens-Entscheidungen oft zu viel Zeit für den erreichten Nutzen in Anspruch.
Wie groß ist die Hürde, Entscheidungen treffen zu können?
Bei einer Gruppe von Menschen, die einer Option positiv (grün), eher negativ (d. h. ohne wirkliche Argumente, gelb) oder stark negativ (mit Argumenten, rot) gegenüberstehen, veranschaulicht folgende Grafik beispielhaft, wie viele Menschen ihre Meinung in der Diskussion ändern müssen, um eine Entscheidung für die Option zu treffen.
Während bei Konsens alle Menschen mit negativer Meinung zur Option (rot und gelb) ihre Meinung ändern müssen, reicht es bei Konsent aus, dass die Argumente aufgelöst werden (rot). Beim Mehrheitsentscheid sind nur so viele Menschen nötig, wie es zum Erreichen der Mehrheit notwendig ist, egal, wie stark oder begründet ihre Meinung ist. Das bedeutet, dass es beim Konsens möglicherweise länger dauern kann und man mehr Argumente liefern muss, um zu einem Ergebnis zu kommen. Der Konsent und die Mehrheitsentscheidung haben in diesem Beispiel im Vergleich eine weniger hohe Hürde.
Wie kann können Entscheidungen ablaufen?
Um die Meinung jedes Teammitgliedes zur Entscheidung aufzudecken, gibt es neben der öffentlichen und geheimen Abstimmung noch andere Möglichkeiten:
Einige Methoden wie Planning Poker oder Delegation Poker, aber auch die Elfer-Skala nutzen eine verdeckte Abstimmung mit Hilfe einer Skala, gefolgt von einer Diskussion der weiter auseinanderliegenden Stimmen. Durch die verdeckte Abstimmung reduziert ihr Hemmung der Meinungsäußerung, Voreingenommenheit, aber auch Konfliktvermeidung (wie z. B. durch Group Thinking).
Mit Hilfe der Liberating Structure 1-2-4-All findet die Entscheidung nicht direkt in der gesamten Gruppe statt, sondern in mehreren Phasen mit wachsenden Gruppengrößen.
Beim systemischen Konsensieren wird nicht die Zustimmung oder Ablehnung zu einem Thema gemessen, sondern der Widerstand zu einer Liste von Optionen. Durch die Wahl der Optionen mit dem geringsten Widerstand soll so eine Lösung nahe am Konsens gefunden werden. Bei einem Ranking im Gespräch werden alle Optionen gezeigt. Die Gruppe muss im Gespräch die Optionen von oben (wichtigste/beste Option) nach unten (bedeutungslose/schwächste Option) einordnen.
Ein weiterer möglicher Einstiegspunkt kann das „Magic Estimation Game“ sein. Hierbei hat jeder die Möglichkeit, Optionen einzuschätzen, um gemeinsam zu einem Ergebnis zu gelangen. Schaut gerne bei diesem Artikel vorbei, wenn ihr mehr wissen wollt: https://www.inovex.de/de/blog/remote-magic-estimation-game/.
Delegiert ein Team eine Entscheidung, z. B. an eine Expert:in, so könnt ihr mit Hilfe von Delegation Poker noch eine Abstufung der Delegation vereinbaren. Dazu nutzt ihr die ersten drei Delegations-Stufen:
„Tell“ – Die Expert:in entscheidet und informiert das Team über die Entscheidung.
„Sell“ – Die Expert:in entscheidet und versucht danach, das Team von ihrer Entscheidung zu überzeugen.
„Consult“ – Die Expert:in fragt das Team vorher um Rat, den sie in die Entscheidung einbezieht.
Abstimmungs-Methoden
Um die Abstimmung selbst durchzuführen, gibt es wiederum eine Reihe von Möglichkeiten, die von der Art des Zusammentreffens (physisch/virtuell) und auch dem zur Verfügung stehenden Material abhängen.
Am einfachsten (und remote per Videokamera für viele möglich) ist es, die Hände als Abstimmungsinstrument zu nutzen. Bei 2-3 Entscheidungsmöglichkeiten (ja/nein, dafür/unentschieden/dagegen) könnt ihr die Position des Daumen nach oben/zur Seite/nach unten verwenden (sog. Roman Voting).
Für eine Skala bis sechs nutzt die Anzahl ausgestreckter Finger von Faust (= 0 Finger) bis alle Finger (sog. Fist-to-Five).
Stehen mehrere Optionen zur Verfügung, verwendet im selben Raum Klebepunkte oder gemalte Striche. Bei virtuellen Treffen bieten viele Werkzeuge die Möglichkeit, für Beiträge mit Likes abzustimmen oder verschiedene Emojis für eine Skala zu verwenden.
Bei komplizierten Skalen können spezielle Abstimmungs-Karten helfen – wie z. B. bei Delegation Poker –, die die Bedeutung jeder Stufe nochmal zusammenfassen. Neben physischen Karten gibt es Online-Tools sowohl für spezielle Methoden wie Planning Poker als auch für Kartensysteme allgemein.
Mit Reflektion zum Ziel
An dieser Stelle möchten wir euch den wertvollen Tipp geben, eure Entscheidungsfindung zu reflektieren. Indem ihr dies tut, lernt ihr nicht nur euch selbst besser kennen, sondern auch euer Team und die Dynamik, die innerhalb des Teams besteht.
Szenario 1
Ihr tendiert dazu, häufig auf schnelle Daumen-hoch/runter- oder Mehrheitsentscheidungen zurückzugreifen. Bei Entscheidungen von großer Tragweite nehmt ihr euch nur wenige Minuten Zeit, und es kommt selten zu Diskussionen.
Tipp: In solchen Situationen kann es äußerst hilfreich sein, sich insbesondere bei Entscheidungen von großer Tragweite genügend Zeit zu nehmen. Indem ihr gute Argumente sammelt und solange diskutiert, bis ihr zu einer Einigung gelangt (z. B. im Konsens oder Konsent), könnt ihr eine bessere Grundlage für eure Entscheidungen schaffen. Eine konkrete Methode könnte hier ein Ranking im Gespräch sein. Gemeinsam im Gespräch wird eine Reihenfolge der Optionen festgelegt.
Szenario 2
Bei jeder kleinen Entscheidung wird ein Konsens angestrebt, und es wird viel Zeit mit ausführlichen Diskussionen verbracht, obwohl diese Entscheidungen möglicherweise keine signifikanten Auswirkungen haben.
Tipp: In solchen Szenarien könnte es sich als gute Idee erweisen, alternative Herangehensweisen wie den Konsent- oder Delegationsansatz einzusetzen oder schnelles Feedback mittels der „Fist of Five“-Methode einzuholen. Auf diese Weise könnt ihr eure Entscheidungsprozesse beschleunigen, ohne dabei die Bedeutung der Entscheidungen zu vernachlässigen.
Szenario 3
Ihr steht vor einem ganz konkreten fachlichen Problem oder einer Herausforderung. Als cross-funktionales Team unterstützt ihr gerne andere Teammitglieder, habt jedoch nicht immer die erforderliche Expertise, um eine Entscheidung zu treffen oder wollt diese möglicherweise nicht alleine treffen.
Tipp: Eine Möglichkeit besteht darin, einer geeigneten Person im Team die Befugnis zu geben, Entscheidungen für das gesamte Team zu treffen. Alternativ könnt ihr auch jemanden außerhalb des Teams um Unterstützung bitten. Neben der Möglichkeit, die Entscheidung vollständig zu delegieren, kann sich das Team nur zur Unterstützung einen Ratschlag einholen. Die endgültige Entscheidung trifft es dann letztendlich im Konsens, durch Konsent oder Mehrheitsentscheidung selbst.
Grundsätzlich empfehlen wir euch, verschiedene Methoden auszuprobieren. Lasst eurer Kreativität freien Lauf, um die für euer Team am besten geeigneten Entscheidungsstrategien zu finden. Habt auch den Mut, während einer Retrospektive oder zu Beginn eines Gesprächs das Thema anzusprechen, wenn ihr mit einer Entscheidungsfindung unzufrieden seid. Es kommt oft vor, dass eine Person, möglicherweise eine aktive Person, bewusst oder unbewusst die Entscheidung alleine trifft. Wenn eine Entscheidung für euch entweder zu schnell getroffen wurde oder zu lange gedauert hat, scheut euch nicht, es anzusprechen. Nutzt die Reflektion im Team und probiert die verschiedenen Methoden aus, die wir hier aufgelistet haben. Seid offen für neue Ansätze und findet gemeinsam die besten Wege, um solche Situationen zu bewältigen.