In dieser Woche hat das EU-Parlament in Straßburg der umstrittenen Urheberrechtsreform ohne Änderungen zugestimmt. Sollten die EU-Staaten im April erneut zustimmen (was als Formsache gilt), so wird die Reform in den nächsten zwei Jahren innerhalb der EU in nationales Recht umgesetzt.
Der Streit um die Reform brachte manch bizarre Blüte hervor. Etwa wenn Herr Caspary von der CDU sich selbst zitiert und zunehmend emotional interpretiert – und dabei das Mikrofon abgedreht wird (auch eine Form von Uploadfilter, wie Twitter-Nutzer süffisant anmerken). Oder wenn sich bei der korrigierten Abstimmung herausstellt, dass 10 Parlamentarier sich korrigieren mussten, weil sie im Eifer des Gefechts den falschen Knopf gedrückt hatten – wohlgemerkt bei einer Stimmendifferenz von 5 Stimmen gegen Änderungen am Reformvorschlag.
Aber es sind tiefergehende Aspekte, die ich im Kontext der Diskussion um die Urheberrechtsreform für wichtig erachte. Gesellschaftspolitische Diskussionen gehen zunehmend auf IT-Themen – auf digitale Themen – zurück: Big Data und Überwachung, die Verantwortung sozialer Netzwerke als Plattform, moderne Künstliche Intelligenz und ihre ethischen Implikationen, der Einfluss mobiler Geräte und ständiger Erreichbarkeit auf Kommunikation und Diskurs in Beruf und Gesellschaft (Digital Wellbeing) etc. Die IT-Community und ihre Themen sind mitten in der Gesellschaft angekommen und dürfen und können sich nicht mehr aus der politischen Dimension ihres Handelns heraushalten.
Leider ist in der Debatte um die Reform auch zu beobachten, dass IT-technisches Grundverständnis gerade im Hinblick auf Upload-Filter wenig verbreitet ist und Expertenmeinungen gerne ignoriert werden. Sascha Lobo bezeichnet das in seiner Kolumne als präfaktische Politik und zitiert Julia Reda mit den Worten „Ich finde es erschreckend, wie wenig wissenschaftlicher Rat in der Politik interessiert“. So liest man in Experteninterviews dann von „unpräzisen Gummi-Bestimmungen“, von „vielen offenen Fragen“ und generell von Enttäuschung, ganz zu schweigen von den vielen warnenden Stimmen aus der globalen Internet-Community im vergangenen Jahr. Elisabeth Bauer setzt sich in ihrer Glosse dazu pointiert aus Programmierer:innen-Sicht mit den Anforderungen an Upload-Filter auseinander.
Daher bleibt nun die Situation, dass aus technischer Sicht „die rücksichtslos kapitalisierenden Großkonzerne“ derzeit den „branchenüblichen Standard“ für Uploadfilter in Form von „Content ID“ setzen und damit einen Wettbewerbsvorteil sowie unter Umständen ein weiteres lukratives Geschäftsfeld durch die Reform erhalten. So trällere ich „Die Gedanken sind frei“ (eine urdeutsche Tradition) und mache mich wieder daran, die Begeisterung und das Wissen über moderne IT weiterzugeben, in der Hoffnung, dass IT-Fragestellungen in naher Zukunft integrativ betrachtet werden und nicht nur notwendiges Anhängsel und Umsetzung sind.
Herzlichst,
Christian Meder