TL;DR:
IT kann durch Effizienzsteigerung und innovative Lösungen wie KI (z.B. Smart Grids, Predictive Maintenance) erheblich zur Nachhaltigkeit beitragen (Green by IT). Gleichzeitig verursacht sie durch steigenden Energie- und Ressourcenverbrauch (Rechenzentren, Datenmüll) eine wachsende Belastung. Green IT zielt darauf ab, den Ressourcenverbrauch von Software selbst zu senken (z. B. Green Coding, optimale Auslastung). Das Ziel von Sustainable Computing ist es, beide Ansätze zu vereinen und den gesamten Lebenszyklus von IT-Lösungen nachhaltig zu gestalten, um trotz des „Rebound-Effekts“ absolute planetare Grenzen einzuhalten.
IT und Nachhaltigkeit – auf den ersten Blick ein ungleiches Paar, doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Die Digitalisierung kann sowohl Treiber als auch Bremse des Klimawandels sein. In diesem Beitrag zeigen wir, welche Chancen und Herausforderungen sich an der Schnittstelle von Technologie und Umwelt ergeben – und wie Konzepte wie Green IT und Green by IT helfen können, den Ressourcenverbrauch zu senken.
Wie hängen IT und Nachhaltigkeit zusammen?
Die digitale Transformation verändert die Welt und formt die Wirtschaft und Gesellschaft um. Sie findet neue Lösungen für komplexe Probleme und ist somit auch eine wichtige Hoffnungsträgerin bei der Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs). Diese 17 Ziele hat sich die UN gesetzt, um den großen globalen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Dazu gehören Klimawandel, Artensterben und Umweltverschmutzung.
IT als Hoffnungsträgerin …
Durch den Einsatz von IT können Prozesse effizienter und smarter gestaltet und Ressourcen gespart werden. Remote Setups ermöglichen beispielsweise eine Reduktion von Reiseaktivitäten und der damit verbundenen Emissionen, wie wir insbesondere während der Corona-Pandemie gesehen haben. Künstliche Intelligenz verspricht nachhaltige Lösungen in verschiedensten Bereichen: Beispielsweise werden Prozesse ermöglicht, die ohne KI kaum oder nur mit viel Aufwand umsetzbar wären, wie z. B. Mülltrennung mit Computer Vision. Außerdem hilft KI dabei, das Klima besser zu verstehen und nachhaltige Alternativen zu finden, was unter anderem bei der Routenplanung in Google Maps Anwendung findet.
… oder doch eher Mitverursacherin?
Doch die Digitalisierung hat auch ihre Schattenseiten, die zunehmend ins Rampenlicht geraten. Neben ethischen Bedenken wird auch der Ressourcenverbrauch der Technologien selbst zunehmend kritisiert.
Das Leben verschiebt sich immer mehr vom Analogen ins Digitale und vermeintlich senkt sich dadurch Ressourcenverbrauch, wenn man z. B. Filme online streamt statt eine DVD zu schauen. Doch der Schein trügt: Zum einen werden auch beim Online-Streaming Ressourcen verbraucht, auch wenn diese weniger sichtbar sind, zum anderen führt die schnelle, einfache und günstige Nutzung zu einem Anstieg des Konsums und somit letztendlich oft sogar zu einem insgesamt höheren Ressourcenverbrauch (Rebound-Effekt, s. u.).
Allgemein steht bei digitalen Technologien natürlich der Stromverbrauch im Mittelpunkt der Kritik. Rechenzentren konsumieren immer mehr Strom; 2024 waren es weltweit schätzungsweise 415 TWh, also ca. 1,5% des weltweiten Gesamtstromverbrauchs. Besonders KI-Modelle, wie z. B. Large Language Models (LLMs), tragen zu diesem Trend bei. Aber auch der Einsatz anderer Ressourcen wird diskutiert: Bei der Kühlung der Server in Rechenzentren beispielsweise wird unter anderem wertvolles Trinkwasser eingesetzt, für ihre Herstellung werden Rohmaterialien wie Arsen sowie seltene Erden verwendet, wie auch bei der Herstellung von Smartphones.
Tendenz: steigend. Die Digitalisierung ist noch längst nicht abgeschlossen, die digitale Infrastruktur wächst und digitale Technologien, insbesondere KI-Modelle, werden immer mehr in das alltägliche Leben der Gesellschaft integriert. Die bereits genannte Routenplanung ist nur ein Beispiel von vielen: Mit KI-basierten Foto-Assistenten wird die Bildbearbeitung auf dem Smartphone revolutioniert, ChatGPT hat innerhalb weniger Tage über eine Million Nutzer gewonnen und gehört mittlerweile zu den Top 5 der meist besuchten Webseiten.
Und jetzt?!
Treibt die IT den Klimawandel also nur noch mehr voran oder trägt sie doch maßgeblich zur Erreichung der Sustainable Development Goals bei?
Als IT-Dienstleistungsunternehmen setzen wir uns mit dieser Frage auseinander. Während wir schon seit Jahren unseren Arbeitsalltag genauer betrachten und versuchen, möglichst nachhaltige Alternativen und Prozesse zu etablieren, rückt mit „Sustainable Computing“ unser Kerngeschäft immer mehr in den Fokus unserer Nachhaltigkeitsarbeit: die Software-Lösungen, die wir bei und mit unseren Kunden bauen.
Green IT – Ressourcenverbrauch von Software senken
Wie kann Software ressourcenschonend konzeptioniert und implementiert werden?
Antworten auf diese Frage findet man im Themenbereich „Green IT“, der sich mit dem nachhaltigen Betrieb und der nachhaltigen Implementierung von Software beschäftigt.
Ressourcenverbrauch messen
Zunächst ist es wichtig, sich überhaupt einmal einen Überblick über den Ressourcenverbrauch in einem IT-Projekt zu verschaffen. Wo entstehen CO2-Emissionen, wie kann man diese messen und wo gibt es Einsparpotentiale? Dabei spielen sog. Carbon Tracking Tools eine wichtige Rolle, um die Emissionen im Softwareentwicklungsprozess zu quantifizieren. Hier gibt es bereits verschiedene vielversprechende Tools, wie z. B. CodeCarbon für Python, mit dem die Emissionen beim Training von ML-Modellen oder anderer Python Software gemessen werden können, sowie APIs unterschiedlicher Cloud Provider oder auch Kepler (Kubernetes Efficient Power Level Exporter).
Einsparpotentiale identifizieren und Ressourcenverbrauch senken
Diese Mess-Tools helfen dabei, Einsparpotenziale zu identifizieren und verschiedene Ansätze miteinander zu vergleichen. Hier gibt es viele verschiedene Einsatzbereiche rund um die Software-Entwicklung.
Green Coding
Beim Green Coding beispielsweise konzentriert man sich auf das Programmieren und wägt unterschiedliche Optionen anhand ihrer Nachhaltigkeit gegeneinander ab. Neben Effizienzbetrachtungen können die Wahl der Programmiersprache oder auch die Verfügbarkeit des Systems eine wichtige Rolle spielen.
Künstliche Intelligenz
Wie bereits eingangs erwähnt, wird der enorme Ressourcenverbrauch beim Training von KI Modellen kritisiert und häufig mit Automeilen oder sogar Langstreckenflügen in Relation gesetzt, um die Emissionen zu veranschaulichen. Durch den KI-Hype, insbesondere im Bereich generativer KI, gerät aber auch der Stromverbrauch bei der Nutzung in den Fokus. Beispielsweise kann die Erstellung eines Bildes je nach Modell so viel Energie verbrauchen wie das Aufladen eines Smartphones. Ein LLM, das komplexere Antworten produziert, kann mehr CO2 verursachen als ein LLM mit einfacheren Antworten.
Es gibt zwar bereits verschiedene Ansätze, KI-Modelle effizienter und sparsamer zu machen, wie z. B. Efficient Deep Learning oder Continual Learning. Der Forschungsbedarf ist aber weiterhin sehr hoch und das Einsparpotential enorm, vor allem unter der Annahme, dass der Hype längst nicht zu Ende ist und die Nutzung von Künstlicher Intelligenz zukünftig noch weiter zunehmen wird.
Datenmüll
Ein bisher wenig diskutierter Aspekt sind „Dark Data“, also Daten, deren Inhalt und Wert bislang unbekannt ist, sowie redundante, obsolete oder triviale Daten, sog. „ROT-Data“. Obwohl diese Daten keinen Nutzen haben, verbrauchen sie wertvolle Ressourcen, die man einsparen oder anderweitig nutzen könnte.
Optimale Auslastung
Neben ungenutzten Daten bietet auch ungenutzte Rechenleistung Einsparpotentiale. Zu viele oder zu große Recheneinheiten (z. B. Knoten im Cluster) können vermieden werden, indem Prozesse genauer untersucht und das Setup entsprechend angepasst wird. Auch Auto-Scaling kann dabei helfen, die Ressourcen optimal zu nutzen. Generell gilt, dass ungenutzte Ressourcen möglichst reduziert und zeitnah heruntergefahren werden sollten, wenn möglich.
Zudem kann das Planen der Systemlasten nach Angebot von grünem Strom ein sinnvoller Schritt sein, wenn Prozesse nicht zeitkritisch sind.
Hardware
Und natürlich ist auch die darunterliegende Hardware nicht zu ignorieren, wobei wir als IT-Dienstleister darauf (insbesondere auf deren Herstellung) nur wenig Einfluss haben. Hat man jedoch verschiedene Auswahlmöglichkeiten, kann man auch hier Ressourcen sparen. So kann beispielsweise Software so schonend entwickelt werden, dass sie nicht zwangsweise aufgrund ihrer Leistungsanforderungen zu einem Hardware-Update führen muss und somit zu einer potentiell längeren Hardware-Nutzungsdauer beiträgt.
Nachhaltigkeitskriterien
Das sind nur ein paar Beispiele für potentielle Ressourceneinsparungen in IT-Projekten. All diese Punkte (und noch weitere) könnte man in einer Art Leitfaden zusammenfassen, der dabei helfen soll, in einem IT-Projekt von Anfang bis Ende (und darüber hinaus) Nachhaltigkeit mitzudenken. Seit einigen Jahren gibt es solche Ansätze, um Nachhaltigkeitskriterien für Software bzw. KI-Anwendungen festzulegen, z. B. vom Blauen Engel oder vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung.
Dabei werden neben den bereits beschriebenen ökologischen Aspekten, mit denen sich Green IT vorrangig befasst, auch soziale und ökonomische Aspekte berücksichtigt, welche die drei Säulen der Nachhaltigkeit bilden. Neben der Beschaffenheit (Implementierung und Betrieb) ist auch der Einsatzbereich ein wichtiges Kriterium für die Nachhaltigkeit eines Softwareprodukts.
Green by IT – Ressourcen schonen durch Software
Wie kann Ressourcenverbrauch mithilfe von Software reduziert oder sogar vermieden werden? Wie kann Software zur Erreichung der Klimaziele beitragen?
Mögliche Einsatzbereiche
“Green by IT“-Projekte haben genau das zum Ziel. Insbesondere von Künstlicher Intelligenz verspricht man sich Hilfe bei Aufgaben, die wir ohne KI gar nicht oder nur schwer lösen könnten. Es gibt Einschätzungen, dass die Ressourceneinsparungen durch KI potentiell den durch KI verursachten Verbrauch und Ausstoß wieder wett machen könnten.
Smart Grids
Ein wichtiges Beispiel sind Smart Grids, also intelligente Stromnetze. Durch die Zunahme erneuerbarer Energien entsteht ein Strommix aus unterschiedlichen Quellen wie Solar- und Windenergie, die nicht auf Abruf erzeugt werden können. Zudem gibt es durch E-Ladesäulen und Wärmepumpen immer mehr Abnehmer im Stromnetz.
Die Vielzahl an verschiedenen Komponenten, die zudem noch teilweise variabel Strom erzeugen, bilden ein Netzwerk, das intelligent gesteuert werden muss, um die Stromerzeugung, -speicherung und -verteilung zuverlässig zu managen. Dabei spielen Prognosen eine wichtige Rolle, um das Angebot und den Bedarf an Strom möglichst genau vorherzusagen (Supply und Demand Forecasting).
Einzelhandel und Produktion
Auch im Einzelhandel oder in der Produktion helfen Prognosen im Demand Forecasting dabei, die zukünftige Nachfrage besser zu schätzen. Dadurch können Bestellmengen bzw. Produktionsmengen optimiert werden, sodass weniger Abfall entsteht.
Predictive Maintenance
Außerdem können mithilfe künstlicher Intelligenz Systeme vorausschauend gewartet werden. Anstatt sich an einen fixen Wartungsplan zu halten und so gegebenenfalls Bauteile für eine Maschine zu früh oder zu spät auszutauschen, hilft Predictive Maintenance beispielsweise dabei, den richtigen Zeitpunkt für den Austausch zu finden. So kann sowohl einem unnötigen Austausch funktionsfähiger Teile als auch einem Systemausfall und den damit verbundenen Folgen, wie z. B. verdorbene Lebensmittel, vorgebeugt werden. Die vorausschauende Wartung trägt insgesamt zur Sicherheit der Systeme, einer Reduktion der Kosten und der Schonung von Ressourcen bei.
Informationsgewinnung
Des Weiteren ist die Digitalisierung ein wichtiges Werkzeug bei der Informationsgewinnung. Zum Einen verbessern digitale Technologien den Zugang zu Wissen; Daten können weltweit gesammelt und in Sekundenschnelle geteilt werden. Zum Anderen hilft künstliche Intelligenz dabei, die Unmengen an Daten auszuwerten und daraus relevante Informationen zu extrahieren. Beispielsweise können durch die Analyse von Satelliten-Bilddaten Wälder vor illegaler Abholzung geschützt oder kritische Zustände auf Feldern erkannt werden.
Prozessoptimierung
In vielen Projekten trägt die IT zur Prozessoptimierung bei, indem separate Komponenten digital miteinander verbunden werden und somit die Interaktion und der Informationsfluss zwischen diesen Komponenten verbessert wird. Dies wird zum Beispiel in der Logistik bei der Routen- und Kapazitätsplanung umgesetzt und auch in Smart Homes, in denen Heizungen, Beleuchtung und andere Geräte intelligent und optimal gesteuert werden können.
Weitere interessante Anwendungsfälle im Bereich „Green by IT“ beschreiben unter anderem die Heinrich-Böll-Stiftung und die Organisation Climate Change AI.
Sustainable Computing – ressourcenschonend Ressourcen schonen
Mehr Effizienz heißt nicht unbedingt weniger Ressourcenverbrauch
Die beiden Bereiche „Green by IT“ und „Green IT“ gehen Hand in Hand. Denn Software mit einem nachhaltigen Anwendungsfall erfüllt ihren Zweck dann am Besten, wenn sie nachhaltig entwickelt ist und ihr Betrieb ganzheitlich Ressourcen schont und Emissionen vermeidet. Dabei spielt auch der sog. “Rebound-Effekt“ eine zentrale Rolle. Dieser beschreibt das Phänomen, dass Effizienzsteigerung nicht immer zu Einsparungen führt, sondern häufig sogar eher gegensätzliche Auswirkungen hat, wie beim obigen Streaming-Beispiel bereits sichtbar wurde. Effizientere Autos sorgen beispielsweise für Kosteneinsparungen, wodurch das Auto aber wiederum häufiger gefahren wird (sowohl individuell als auch gesamtgesellschaftlich), sodass letztendlich der Gesamtverbrauch sogar steigt. Dabei muss zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und dem Wohlstandsgewinn bzw. der sozialen Teilhabe abgewogen werden. Am Ende geht es darum, die absoluten Grenzen des Planeten nicht zu überschreiten. Der Rebound-Effekt zeigt, dass Effizienzgewinne alleine nicht reichen, um dieses Ziel zu erreichen. Genau dieses Wissen sollten wir auch auf die IT übertragen.
Der gesamte Lebenszyklus zählt
Wie bereits bei den Ansätzen für Nachhaltigkeitskriterien von Software angesprochen, ist Software dann möglichst nachhaltig, wenn sowohl ihre Implementierung als auch ihre Nutzung nachhaltige Kriterien erfüllt und der gesamte Lebenszyklus nachhaltig gestaltet ist, d.h. „Green IT“ in „Green by IT“-Projekten eingesetzt wird.
Aber auch ohne nachhaltigen Use Case ist „Green IT“ ein wichtiger Ansatz, um weniger Ressourcen zu verbrauchen und somit bei der Erreichung der SGDs einen Schritt weiter zu kommen.
Da sich noch kein einheitlicher Sammelbegriff für die beiden Themenbereiche „Green IT“ und „Green by IT“ etabliert hat, fassen wir all das in dem Begriff „Sustainable Computing“ zusammen.
Sustainable Computing bei inovex
„Nachhaltigkeit steckt in der inovex-DNA“, pflegt ein Kollege zu sagen. Grundsätzlich sind wir an langfristigen Kundenbeziehungen und Software interessiert, die unsere Einsatzzeit beim Kunden überdauert. Usability und Adoption spielen dabei eine wichtige Rolle.
Außerdem legen wir Wert auf Clean Code, da dieser die Zusammenarbeit in Projekten und die Wartbarkeit von Software erleichtert und somit die langfristige Nutzung unserer Software-Lösungen begünstigt.
In diesem Sinne ist es uns auch ein Bedürfnis, uns mit dem Forschungsfeld „Sustainable Computing“ zu befassen und kontinuierlich Expertise aufzubauen, um weiterhin das Bestmögliche aus Software herauszuholen.
Wir hoffen, damit unseren Beitrag zu einer (IT-)Welt zu leisten, die auch in Zukunft weiter bestehen kann.
Aktuell beschäftigen wir uns mit dem Tracking von Emissionen, die bei der Softwareentwicklung und darüber hinaus entstehen, und evaluieren verschiedene Tools, von denen wir dann auch bald in weiteren Blogposts berichten werden. In diesem Sinne: stay tuned!