Eine Person zuckt die Schulter, um sie herum stehen Bälle für unerwünschte Features
Product Management

Product Management: Wie umgehen mit Features, die niemand will …

Lesezeit
10 ​​min

Manche Features haben es ganz schön schwer. Von Benutzer:innen werden sie ignoriert, potenzielle Käufer:innen berücksichtigen sie bei der Kaufentscheidung nicht, das Produkt-Team beschränkt sich auf das Nötigste und die Kolleg:innen aus der Marketing- und Vertriebsabteilung sind ebenfalls keine großen Befürworter. Denn sie haben die undankbare Aufgabe, die Nutzer:innen und potenziellen Kunden davon zu überzeugen, dass diese unliebsamen Features genau das bieten, was sie brauchen.

Kein Wunder, dass Features, die niemand will, nicht sonderlich beliebt sind. Und doch gibt es sie – häufiger, als man denkt. Das zeigt beispielsweise der „Feature Adoption Report“ von pendo.io.

Spoiler: Im Verlauf des Blog-Beitrags wird eine im Produktmanagement kaum bekannte Methode vorgestellt, die den Weg für Features ebnet, die Kunden begeistern – garantiert!

„Pendo determined that 24 percent of features in the average software product are never used.“

Feature Adoption Report (PDF Download)

Warum entstehen Features, die niemand will?

Das Marktforschungsunternehmen CB Insights untersucht seit mehreren Jahren, warum Start-ups scheitern. Konstant auf den vordersten Plätzen zu finden ist der Grund „fehlende Nachfrage“.

35 % – no market need

https://www.cbinsights.com/research/startup-failure-post-mortem/

Es werden Produkte gebaut, die niemand haben will. Betrachtet man Produkte als ein Bündel aus Features, so bedeutet dies, dass mehrere unvorteilhafte Feature-Entscheidungen getroffen wurden, die schlussendlich dazu geführt haben, dass ein Produkt scheitert. Die Gründe für das Entstehen von Features, die niemand will, sind vielfältig, doch die Konsequenz ist immer die gleiche: Die Investitionen für die Entwicklung neuer Produkte sind deutlich höher als nötig. Es stellt sich die Frage, wie die knappen Budgets und Ressourcen für die Entwicklung neuer Features vorteilhafter für Kunden sowie profitabler für Unternehmen eingesetzt werden können.

Die naheliegende Antwort lautet: mit Product Discovery und Design Thinking. Beide Ansätze zielen darauf ab, herauszufinden, was Kunden wollen, damit Unternehmen „die richtigen Produkte“ mit den „richtigen Features“ entwickeln. Einziger Wermutstropfen: Weder in der Welt der Product Discovery noch im Universum des Design Thinkings gibt es eine Methode, mit der Probleme in ihre Bestandteile zerlegt werden können. Dies ist allerdings die Voraussetzung, um zielgerichtet Features zu entwickeln, die Kunden begeistern.

Was ist eigentlich ein Problem?

Hierzu lohnt sich ein Abstecher in die Welt der Psychologie, genauer gesagt in den Bereich des Problemlösens. Wie der Name bereits andeutet, beschäftigt sich das Problemlösen damit, wie Menschen Probleme lösen. Gerade für die Entwicklung von Features ist dies interessant, da jedes Feature auf einem ungelösten Kundenproblem aufbauen sollte. Und genau bei dieser Erkenntnis – finde ein relevantes Kundenproblem und löse es – enden die allermeisten Handlungsempfehlungen. Doch um wirklich verstehen zu können, ob ein Feature Begeisterung bei der Zielgruppe auslösen kann, muss das zugrundeliegende Problem tiefer analysiert werden.

Hierbei hat sich die Problemdefinition von Prof. Dr. Dr. Dietrich Dörner als besonders hilfreich erwiesen. Er betrachtet den Zustand einer Person und erkennt: „Ein Individuum steht einem Problem gegenüber, wenn es sich in einem inneren oder äußeren Zustand befindet, den es aus irgendwelchen Gründen nicht für wünschenswert hält, aber im Moment nicht über die Mittel verfügt, um den unerwünschten Zustand in den wünschenswerten Zielzustand zu überführen.“ Aus dieser Definition lassen sich drei Komponenten erkennen. Zunächst gibt es den unerwünschten Ausgangszustand, dann den erwünschten Endzustand und zuletzt Hindernisse, die sich zwischen die beiden Zustände schieben und damit die Zielerreichung erschweren oder sogar komplett verhindern.

 

Der Weg vom unerwünschten Anfangszustand über 2 Hindernisse zum erwünschten Endzustand

 

Will man den Endzustand erreichen, so müssen die Hindernisse überwunden werden. Idealerweise schaffen es die Personen nicht aus eigener Kraft, die Hindernisse zu überwinden, sondern benötigen Hilfe. Und genau an dieser Stelle kommen Produkte mit entsprechenden Features als Problemlöser ins Spiel. Erst mit ihrer Hilfe schaffen es Personen, den erwünschten Endzustand zu erreichen. Das Ergebnis: Mindestens zufriedene, wahrscheinlich sogar begeisterte Nutzer:innen und Kunden!

Exploration des Problems

Kommen wir nun zum praktischen Teil: Die 3 Komponenten, der unerwünschte Anfangszustand, der erwünschte Endzustand und die Hindernisse, können wunderbar mit Fragen exploriert werden.

Frage 1: Was ist der unerwünschte Anfangszustand?

Hier wird beschrieben, was bei der Zielgruppe Unzufriedenheit auslöst. Um sich besser in die Problemwelt der Zielgruppe einfühlen zu können, ist es ratsam, die Sätze aus der Ich-Perspektive zu formulieren. Idealerweise ist der unerwünschte Anfangszustand derart schmerzhaft, dass die Zielpersonen nicht nur die Absicht fassen, etwas zu tun, sondern tatsächlich ins Handeln kommen. Konkret bedeutet dies, dass sie sich auf die Suche nach einer Lösung für das Problem begeben.

Frage 2: Was ist der erwünschte Endzustand?

Der erwünschte Endzustand beschreibt das, was die Zielgruppe erreichen will. Die Vorstellung einer aus Kundensicht vorteilhaften Zukunft wirkt dabei wie ein Magnet, der Menschen dazu motiviert, ins Handeln zu kommen.

Während der unerwünschte Anfangszustand eine „weg von“-Schubwirkung erzeugt, entwickelt der erwünschte Endzustand eine „hin zu“-Sogwirkung. Das Ergebnis ist in beiden Fällen dasselbe. Menschen kommen ins Handeln. An dieser Stelle soll der Aspekt, dass Menschen von der Absicht, ein Problem zu lösen, tatsächlich ins Handeln kommen, noch einmal hervorgehoben werden. Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass nicht jedes Problem sofort angegangen und gelöst wird. Das Gegenteil ist eher der Fall. Die meisten Probleme werden auf die lange Bank geschoben. Eine Lösung wäre schön, findet sich keine, ist es auch nicht sonderlich schlimm. Deswegen ist es zwingend erforderlich, bei den Antworten radikal ehrlich zu sein, um Enttäuschungen aufgrund von Selbsttäuschungen vorzubeugen. An dieser Stelle lohnt es sich, die Konsequenzen zu erfragen, wenn das Problem nicht gelöst wird. Je geringer die erwarteten negativen Konsequenzen des Nichthandelns ausfallen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Problem in Angriff genommen wird.

Frage 3: Welche Hindernisse erschweren die Zielerreichung?

Auf dem Weg vom unerwünschten Anfangszustand hin zum erwünschten Endzustand tun sich Hindernisse auf. Diese erschweren oder blockieren die Zielerreichung. Erschweren bedeutet, dass die geplante Route zwar möglich ist, Hindernisse jedoch das Erreichen des erwünschten Endzustands verkomplizieren. Blockieren bedeutet, dass der erwünschte Endzustand nicht über die geplante Route erreicht werden kann. Für beide Fälle gilt, dass mehr Aufwand in Form von Zeit oder Geld für das Erreichen des erwünschten Endzustands notwendig ist. Eine ideale Grundlage für ein Feature, das in der Rolle des Problemlösers den Weg freimachen kann.

In der Praxis hat es sich bewährt, zwei weitere Fragen zu stellen.

Frage 4: Wie hilft FEATURE bei der Zielerreichung?

Mit dieser Frage verlassen wir den Problemraum und tauchen in den Lösungsraum ein. Es wird konkret beschrieben, wie das Feature das Problem löst, beziehungsweise wie das Feature bei der Lösung des Problems unterstützen kann. Ein tolles Hilfsmittel zur Konkretisierung der Hilfeleistung sind die „30 Elements of Value“. Es handelt sich dabei um eine Auflistung von Kriterien, die Kunden zur Bewertung von Nutzen heranziehen.

Frage 5: Welche Lösungen gibt es aktuell?

Es wird festgestellt, welche Lösungsmöglichkeiten aktuell verfügbar sind. Naheliegend ist der Blick in die Wettbewerbslandschaft. Gibt es Mitbewerber, die das Problem bereits lösen? Wenn dem so ist, kann es sich lohnen, einen Blick auf die alternativen Lösungen zu werfen, um festzustellen, wie die eigene Lösung im Vergleich abschneidet. Auch das Nutzungsverhalten kann wertvolle Hinweise liefern. Eventuell behilft sich die anvisierte Zielgruppe mit Workarounds, die von einer „richtigen“ Lösung ersetzt werden können.

Praxisbeispiel

Das folgende Beispiel soll die Praktikabilität der Herangehensweise im Arbeitsalltag verdeutlichen.

Die Situation: Familien mit Kindern kennen das Problem. Die Kinder werden schnell groß. Die Klamotten wachsen leider nicht mit und so verschwinden immer mehr Klamotten in Kartons in Abstellräumen. Das Verkaufen auf Online-Portalen lohnt sich kaum, da der Zeitaufwand zu groß ist. Eine intelligente Smartphone-App soll das Problem lösen. Das Produktteam diskutiert gerade über eine neue Feature-Idee, die den Arbeitstitel „Kleiderscanner“ trägt.

Die Idee: Nutzer:innen halten ein Kleidungsstück vor die Kamera des Smartphones, ein Foto wird erstellt und anschließend werden mithilfe von Künstlicher Intelligenz Eigenschaften wie die Kleidergröße, die Farbe, die Marke, der Zustand, etc. ermittelt und in einer Eingabemaske ausgefüllt. Das zugrundeliegende Problem sowie der Nutzen, der aus der Lösung resultiert, kann wie folgt bestimmt werden:

Die Antworten auf die Fragen können in Eigenregie oder in der Gruppe erarbeitet werden. Egal ob Produktmanagement, Marketing, Vertrieb oder andere Abteilung – jede:r versteht sofort das Problem, das es zu lösen gilt, den eigenen Lösungsansatz sowie die alternativen Lösungsmöglichkeiten, die der Zielgruppe zur Verfügung stehen. Eine ideale Grundlage für das kritische Hinterfragen des Vorhabens sowie konstruktive Diskussionen im Team.

Zusammenfassung

Es wurde aufgezeigt, dass es eine beträchtliche Anzahl von Features gibt, die wenig oder keinen Einfluss auf den Erfolg von Produkten haben. Dies hat zur Folge, dass die Investitionen für die Entwicklung neuer Produkte deutlich höher ausfallen als nötig. Ein Umstand, der sich vermeiden lässt, wenn die Probleme, die Features zugrunde liegen, im Detail verstanden werden und darauf aufbauend passgenaue Lösungen entwickelt werden. Hierbei hat sich die Problemdefinition von Prof. Dr. Dr. Dietrich Dörner als besonders hilfreich erwiesen. Mithilfe von drei Fragen können die drei Komponenten der Problemdefinition, der unerwünschte Anfangszustand, der erwünschte Endzustand sowie die Hindernisse ermittelt werden. Zwei weitere Fragen verdeutlichen den aktuellen Lösungsansatz und zeigen alternative Lösungsmöglichkeiten auf. Abschließend wurde mit einem Beispiel die einfache, praktische Anwendung der Methode demonstriert.

Bleibt noch der letzte Tipp: Ins Handeln kommen und selbst ausprobieren!

Hat dir der Beitrag gefallen?

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert